HANS-GEORG DORNHEGE  
  Jahrgang 1938, 1964 Gründungsmitglied der Berliner Gruppe "Großgörschen 35", lebt und arbeitet in Münster. Mit seiner Familie verbringt er seit 1986 die Sommermonate in Arta/ Mallorca, wo er sich in einem mittelalterlichen Stadthaus ein Atelier einrichtete. Reisen durch die USA und Sibirien, längere Aufenthalte in New York 1969 /1971 und zwei Reisen nach Chile in den 80er Jahren konstituierten den globalen Erfahrungshorizont, der sein Werk unaufdringlich durchzieht. Dornheges Spannweite reicht von zarten Bildern mit Spritzpistole auf Gaze bis zu schweren, skulpturalen Leinwänden, auf denen die Ölfarbe stellenweise verkrustet. Auch Fotos fesseln den Fred Thieler-Schüler als Bildvorlage, ohne den malerischen Vortrag auf seinen meist großen Formaten zu beeinträchtigen: Informelle Malerei und Gegenständlichkeit bilden ein bewegtes Amalgam, an dem die Augen des Betrachters sich nicht satt sehen.
Im Fundus der Galerie befinden sich Werke aus den Jahren 1979 bis 1995: New York-Bilder, chilenische und mallorquinische Landschaften. Von "Potsdamer Platz, Dreimal Stunde Null", 1997 auch in der Info-Box an Berlins größter Baustelle nach 1989 ausgestellt, sind vier Bildobjekte, 160 x 160 cm, und zwei große Ölbilder vorhanden.


BLICKPUNKT ARTA

von Friedrich Rothe


Als Richard Wagner vor 150 Jahren die Forderung nach dem Gesamtkunstwerk erhob, war die Zersplitterung des kulturellen Zusammenhangs schon weit fortgeschritten. Der seltene Anlaß, der eine Barockopernpremiere mit einer Ausstellungseröffnung an so einem schönen Ort verbindet, sollte genutzt werden, auch einige übergreifende Gesichtspunkte vor Augen zu rücken. Da ist einmal die oft vergessene Tatsache, daß Landschaft nichts Natürliches ist, sondern ein Kulturprodukt. Sie mußte der Natur abgerungen werden. Die 1500 Jahre nach dem Untergang der römischen Reiches waren ein Versuch innerer Kolonisation. Es galt, durch Roden und Urbarmachen die mediterrane Kultur der Seestädte und Inseln um einen flächendeckenden Komplex von Landwirt-schaft, Verkehr und Industrie zu erweitern. Im „Locus amoenus", dem lieblichen Ort mit einer SüBwasserquelle, Blumen und schattigen Bäumen, hat die Phantasie das vorweggenommen, was den finsteren Urwäldern Germaniens noch fehlte. Es ist bemerkenswert, daß der „Locus amoenus" in der mittelhochdeutschen Ritterdichtung zweihundert Jahre vor dem "Paradiesgärtlein" des oberrheinischen Meisters bereits Topos gewesen ist. Ein wichtiges Indiz dafür, daß schon am Beginn der Landschaftsmalerei in Deutschland die Phantasietätigkeit und nicht das Kopieren bestehender Verhältnisse im Vordergrund stand. Der Inbegriff der Landschaft ist der Park. Er ist in Europa im Laufe der Jahrhunderte im Wechselspiel von Architektur, Theater- und Opernkulisse und Malerei entstanden. Gleichzeitig mit dem Teatro Olympico des Palladio in aa Vicenza stellt der italienische Kunstheoretiker Lomazzo in seinem Traktat „Über Architektur, Skulptur und Malerei" 1585 einen Katalog der Landschaftsmalerei auf. Die heroische Landschaft wird der Tragödie zugeordnet, der Komödie entspricht die arkadische Idylle. Das Satyrspiel wird in Grab- und Ruinenlandschaften verlegt. Aber es gibt nicht nur die Beziehung Bühne- Malerei, sondern ebenso ein produktives Verhältnis von Malerei und Gartenkunst. Die englischen Parks sind nicht zuletzt Umsetzungen Lorrainscher Landschaften, und - um von Deutschland zu sprechen - Lenne hatte bei seinen Landschaftsprojekten ebenfalls noch Lorrain vor Augen. Wenn Karl Blechen um 1834 seine Bilder vom Palmenhaus auf der Pfeueninsel malt, deuten nicht nur die Odalisken auf Exotik, die Auffassung insgesamt verweist auf die Verwirklichung eines künstlichen, exotischen Traums. Zwischen Lorrain und Lenne liegen über hundert Jahre, Lenne und Blechen arbeiten gleichzeitig. Der Rhythmus dieser inneren Beziehungen ist höchst unterschiedlich. Auffällig ist, wie wenig die Landschaftsmalerei mit der bescheidenen Wiedergabe real existierender Verhältnisse zu tun hat, wieviel jedoch mit drängenden Wünschen nach Veränderung, nach Transzendierendem. Hans-Georg Dornhege hat nicht immer Landschaften gemalt. Mitte der 60er Jahre wurde er in Berlin mit seinen Astronautenbildern bekannt. Ende der 70er Jahre trat er mit einer New York-Serie von Objekten und Bildern hervor. Seine Existenz ist nicht nur durch westfälische Herkunft und künstlerischen Erfolg in Berlin gekennzeichnet. In den letzten Jahren wurden für ihn zunehmend Mallorca und sein Haus in Arta wichtig. Arta ist die arabische Bezeichnung für Garten, und in der Tat sind heute noch trotz aller christlichen Zerstörung in der Umgebung von Arta, eine alte Stadt mit Moschee und Burganlage, überall noch die von den Arabern angelegten Terrassen sichtbar. Dieser uralten Kulturlandschaft sind die drei Bilder an der Hauptwand gewidmet. Als intellektuelles Neuland brachte Mallorca für Dornhege die Erfahrung griechischer Mythologie: Robert Ranke Graves, der seine Bücher im nahen Deja auf Mallorca schrieb. Ranke Graves mit seiner vom Strand von Mallorca geprägten Sicht auf die Mytho-logie spiegelt sich bei Dornhege wider. Seine Hauptgöttin ist die freundliche Eurynome mit ihren Töchtern, den drei Grazien. Dornhege setzt hier der christlichen, patriarchalen Sicht auf die Natur eine sinnlich, heitere entgegen, die auf dieser Insel dem Massentourismus zum Trotz an kleinen Buchten und Stränden noch möglich ist. Der "Kardinal am Meer" greift nicht nur Francis Bacon auf, sondern geht ebenso auf Blechens Mönche am Strand bei Sorrent zurück. Der Konflikt zwischen patriarchalischem Geist, dessen Herrschaft zugleich Selbsteinschnürung bedeutet, und einer glücksverheißenden Natur, findet hier programmatischen Ausdruck. Don Jaimes Landung in Mallorca zeigt den christlichen Eroberer vor der heroischen Anstrengung, die der wildbewegte Himmel ankündigt. Seine großen Landschaften entwickelt Dornhege aus kleinen Skizzen vor der Natur, die er in seinem Atelier in Münster ausführt. Der Wendung von der Großstadt zur Landschaft entspricht der Übergang zur Ölmalerei. Während "Casa Evita", das große Bild auf der linken Seite des Foyers, eine Phantasmagorie von Babylon entwirft, dessen Scheincharakter durch die dünne Acrylschicht angedeutet wird, haben die Landschaften der letzten Jahre, in Öl gemalt, eine Materialität, die ins Skulpturhafte übergeht. Dornheges Verlas-sen der Photographie und seine Orientierung an Mythologischem und der ikonographischen Tradition bedeutet zugleich eine Freisetzung des Malerischen. Seine Bilder stellen nicht nur dar, ebenso sind sie Selbstzweck als tachistische Farbanhäufung und verraten nicht mehr als die Spuren des Pinselduktus. Die beiden Bilder zu Fragonards "Fest im Park von St. Cloud" Die Tragödie und Die Komödie vereinigen alle Aspekte des Themas: Theater, Landschaft, Architektur, aristrokratische Prachtentfaltung und Leben-digkeit des Volksfests. Das Wechselspiel von Bühnenbild, Parklandschaft und Malerei ist hier auf die Spitze getrieben und um das Moment des Sozialen erweitert. Die Trilogie des schönen Scheins verwandelt sich in eine Utopie der Gesellschaft. Daß dieser Abend uns Gelegenheit gibt, etwas von dem facettenreichen Zusammenwirken von Bühne, Landschaft und Malerei zu verspüren, ist wohl nichts Alltägliches, und wir haben allen, die daran beteiligt sind, herzlich zu danken.

(Eröffnungsrede zur Ausstellung "Locus Amoenus" anläBlich der Premiere von Reinhard Keisers Oper "Die großmütige Tomykis" (1717) in den Foyerräumen der Städt. Bühnen Münster am 23. Dezember 1990)